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Zukunftsforum der Selbsthilfe-Akademie Schleswig-Holstein

So war das Zukunftsforum Selbsthilfe 2023

„Klima und Gesundheit“ lautete das Thema des diesjährigen Zukunftsforums der Selbsthilfe-Akademie Schleswig-Holstein. Am 10. November 2023 kamen Aktive aus den Selbsthilfegruppen und -organisationen, Mitarbeiter*innen aus den Selbsthilfe-Kontaktstellen sowie Interessierte in der Landesgeschäftsstelle des Paritätischen Schleswig-Holstein in Kiel zusammen, um sich zu informieren, auszutauschen und konstruktiv und kreativ Handlungsmöglichkeiten für mehr Klima-Resilienz zu erarbeiten.

Grußworte: Der Klimawandel belastet vulnerable Gruppen besonders

„Der Klimawandel hat Auswirkungen auf die Gesundheit. Deshalb müssen wir jetzt handeln“, sagte AOK-Landesdirektorin Iris Kröner zu Beginn der Veranstaltung. Dem Thema Selbsthilfe komme dabei eine besondere Bedeutung zu. „Gerade Menschen mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen müssen in verstärktem Maße gesundheitliche Auswirkungen verkraften. Sie sind noch mehr gefordert, sich an den Klimawandel und seine Folgen anzupassen. Hier kann die gesundheitsbezogene Selbsthilfe mit ihren vielfältigen Angeboten unterstützen und die Gesundheitskompetenz der Betroffenen und deren Angehörigen stärken“, sagte Kröner.

Das unterstrich auch Birgitt Uhlen-Blucha, Referentin für Selbsthilfe beim PARITÄTISCHEN Schleswig-Holstein. „Aufgrund ihrer gesundheitlichen und sozialen Herausforderungen zählen die Menschen in der Selbsthilfe zu den vulnerablen Gruppen, die durch die klimatischen Veränderungen besonders belastet werden. Die Selbsthilfe in Schleswig-Holstein hat ein breites Spektrum an Maßnahmen zusammengetragen, um nach innen in die Gruppen, Organisationen und Kontaktstellen zu wirken, und ist sich ihrer Selbstwirksamkeit bei diesem herausfordernden Thema bewusst“, so Uhlen-Blucha. Es brauche Angebote für den Austausch über die psychischen Folgen des Klimawandels und es bedürfe mehr Bildungsangebote, um die komplexe Problematik zu verstehen.

„Die Selbsthilfe will politisch mehr Einfluss nehmen und sich lokal und landesweit mit ihrer Forderung nach Beteiligung und Berücksichtigung der gesundheitlichen Belastungen durch den Klimawandel einbringen“ – Birgitt Uhlen-Blucha

Ein großes Whiteboard mit vielen Post-Its und Notizen aus dem Zukunftsforum.

Vorträge und Wissensstationen

Vortrag: Auswirkungen des Klimawandels auf unsere Gesundheit – global und lokal

Wie sich der menschengemachte Klimawandel auf die Gesundheit global und lokal auswirkt, stellte Norbert Kamin, Referent von KLUG – Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit in seinem Vortrag dar. Er sagt: „Ein gesundes Leben ist nur auf einem gesunden Planeten möglich. Die Häufigkeit und Intensität zunehmender Krisen erfordern eine stärkere Resilienz. Diese ist am besten erreichbar durch transformatives Handeln.“ Dies geschehe zum Beispiel, indem wir unsere Ernährung umstellen: Eine reduzierte Fleischproduktion schützt nicht nur das Thema, ein weniger Fleischkonsum ist auch für die eigene Gesundheit förderlich. Ein anderes Beispiel sei das große Thema Mobilität: Der Ausbau von Fahrrad-freundlichen Straßen und die Reduzierung des Autoverkehrs verringert nicht nur den CO2-Ausstoß, die Bewegung im Alltag ist auch förderlich für die individuelle Gesundheit.

Dr. Norbert Kamin machte auch deutlich, dass es höchste Zeit ist, ins Handeln zu kommen, denn die direkten, indirekten und auch die sozialen Folgen des Klimawandels treffen uns alle. Auch in Schleswig-Holstein gäbe es viele Menschen, die unter den Hitzeentwicklungen und dem vermehrten Aufkommen von Infektionserkrankungen verstärkt betroffen sein werden. Und auch soziale Spannungen, beispielsweise durch Verteilungskämpfe von finanziellen Mitteln für die Folgen des Klimawandels, werden wir in Schleswig-Holstein und womöglich auch in der Selbsthilfe erleben. Dabei machte Kamin wenig Hoffnung auf die eine große Lösung oder die eine große Erfindung, mit der alles möglich wird:

„Den großen Wurf wird es nicht geben, wir müssen alle aktiv werden“ – Dr. Norbert Kamin

Wissensstation 1: Extremwetter und die gesundheitlichen Auswirkungen

Wissensstation 1 wurde von Holger Westermann von menschenswetter angeboten und erläuterte die Auswirkungen von Extremwetterlagen auf Menschen. Diese Auswirkungen können sich dabei ganz unterschiedlich ausprägen. Es braucht daher eine genaue Betrachtung und angemessene Handlungen, erklärte Westermann. Dabei spielen auch stadtplanerische und stadtökologische Konzepte eine Rolle. „Klimawandel bedeutet für chronisch kranke Menschen, dass sich die Wahrscheinlichkeit für Wetterlagen ändert, die Ausprägung und Häufigkeit ihre Symptome beeinflussen. Wissenschaftliche Studien messen die Wirkung des Klimawandels in Arztbesuchen, Krankenhauseinweisungen oder gar Todesfällen – doch für wetterempfindliche Menschen mit chronischen Erkrankungen sind schon schwächere Symptomverschlechterungen eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität“, betonte Westermann.

Wissensstation 2: Klima-Gefühle – Die psychischen Folgen des Klimawandels

Wissensstation 2 fokussierte sich auf die psychischen Folgen des Klimawandels und wurde von Mareike Schulze angeboten. Schulze ist Mitbegründerin von Psychologists/Psychotherapists for Future und betonte, dass Ängste, Sorgen und Hilflosigkeit natürliche Reaktionen auf die wahrgenommenen Veränderungen sind und es wichtig sei, diese Gefühle zuzulassen.

„Die Gefühle, die wir zur Klimakrise entwickeln, sind gesund und angemessen angesichts der realen Bedrohung“ – Mareike Schulze

Die Herausforderung sei, die Balance zu halten. Wie viel Abwehr ist notwendig, um nicht zu verzweifeln und wann sorgt die Abwehr dafür, dass sich die Probleme vergrößern? Dabei sei es besonders die Angst vor der Angst, die das Sicherheitserleben massiv beeinträchtigt. Mit Blick auf die Selbsthilfe spricht sie von einem „grandiosen Netzwerk“, dass für die gemeinschaftliche Bearbeitung der psychischen Folgen des Klimawandels genutzt werden kann.

Vortrag: Vom Denken übers Fühlen zum Handeln

In ihrem anschließenden Vortrag verdeutlicht Mareike Schulze noch einmal das Potenzial des kollektiven Handelns. Gemeinschaftliches Tun, um den Klimawandel abzumildern, sei motivierend und helfe, den erforderlichen langen Atem zu behalten. „Jedes Darüberreden und jedes Darübernachdenken mit anderen Menschen hilft, die Verarbeitungstiefe dieses Themas zu stärken, eine emotionale Verknüpfung herzustellen und ins Handeln zu kommen“, so Schulze. Sie beobachtet, dass Krisen auch dafür sorgten, dass sich Werte und Prioritäten neu ordnen. Deswegen stelle sich für viele nicht mehr nur die Frage danach, wie man konkret auf die Folgen des Klimawandels reagieren kann – sondern auch, was ein gutes Leben ausmacht.

Schulze plädierte in ihrem Vortrag dafür, sich den Tatendrang nicht vom Perfektionismus kaputt machen zu lassen oder sich im klein-klein zu verheddern. Gemeinschaftliches Handeln von engagierten Menschen könne nicht in jedem Bereich zu Veränderungen führen (wie beispielsweise im Bereich der Industrie), aber im Bereich der sozialen Normen für ein stärkeres Klimabewusstsein sorgen. Hier läge die große Chance des gemeinschaftlichen Handelns: „Menschen sind soziale Wesen, wir gucken voneinander ab.“ Gruppen und Organisationen, die Klimabewusstsein und Klima-freundliche Prozesse etablieren, können so Einfluss nehmen auf andere Gruppen und Organisationen.

Abschlussworte: Die Selbsthilfe ist gestaltender Akteur in unserer Gesellschaft – auch zum Thema Klimawandel

Die gemeinschaftliche Selbsthilfe ist krisenerprobt und handlungskompetent, um individuelle und insbesondere gemeinschaftliche Lösungen zu entwickeln. Diese Fähigkeiten sind notwendig, um den klimatischen Veränderungen etwas entgegenzusetzen. „Um eine kollektive Klima-Resilienz zu erreichen, braucht es Impulse, Initiativen und Forderungen aus der Selbsthilfe, um politischen Einfluss zu nehmen, um kommunal Veränderungen anzustoßen oder zu unterstützen, zum Beispiel die Forderung nach kommunalen Hitzeplänen. Vereine und Kontaktstellen können Vorbilder für den Wandel zur klimafreundlichen Einrichtung werden“, so Prof. Dr. Melanie Groß, Verbandsratsvorsitzende des PARITÄTISCHEN Schleswig-Holstein. Dabei komme es auch auf das Zusammenspiel der verschiedenen Generationen in der Selbsthilfe an, so Hanna Fuchs, Mitarbeiterin der Selbsthilfe-Akademie Schleswig-Holstein. Die verbindenden Eigenschaften zwischen jüngeren und älteren Menschen in der Selbsthilfe seien die Fähigkeiten, die die Selbsthilfe zu einem ernstzunehmenden Akteur in der Gesellschaft machen: „Die Offenheit gegenüber anderen Menschen; die Sturheit, sich nicht abspeisen zu lassen; und der gegenseitige Rückhalt von und für Personen, die in dieser Gesellschaft sehr kämpfen müssen – all das sind Eigenschaften der Selbsthilfe, die wir für die politischen, sozialen und ökologischen Herausforderungen des Klimawandels brauchen werden“.

Das Zukunftsforum Selbsthilfe war nicht nur geprägt von Fachvorträgen, sondern wurde auch durch den Austausch im Klima-Café bereichert. Dort befand sich eine Inspirationswand, wo von kleinen Handlungsmöglichkeiten bis hin zu großen Visionen Ideen, Gedanken und konkrete Umsetzungspläne gemeinschaftlich gesammelt und diskutiert wurden. Der Tag machte die Relevanz der Themen Klima und Gesundheit für die Selbsthilfe deutlich und wir freuen uns darauf, die wichtigen Impulse des heutigen Tages in der zukünftigen Arbeit der Selbsthilfe-Aktiven zu entdecken.